… und Mommsen hatte doch Recht: querendum sit potius Aguontum ad Lienz
HARL Ortolf, in: O. HARL (Hg.) Hochtor und Glocknerroute. Ein hochalpines Passheiligtum und 2000 Jahre Kulturtransfer zwischen Mittelmeer und Mitteleuropa, Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Instituts 50 (Wien 2014) 237–270
Abstract von Ortolf HARL (Juni 2021)
Die beiden, im Jahre 2014 von Gerhard WINKLER und Ortolf HARL verfassten Arbeiten zu den Entfernungsangaben im Drau- und Pustertal und zu Aguntum setzen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage auseinander, wo das claudische Munizipium Aguntum zu lokalisieren sei. Zwar hatte Theodor Mommsen schon im Jahre 1873 vermutet, Aguntum sei „ad Lienz“ zu suchen, konnte sich aber nicht gegen die von Heimatforschern im späten 19. Jh. aufgebrachte Ansicht durchsetzen, wonach die bei Dölsach liegende Römersiedlung das antike Aguntum sei. Erst die Entdeckung eines keltisch-römischen Passheiligtums auf dem Hochtor (2504 m) im Jahre 1993 und die damit verknüpfte Fernhandelsroute von Aquileia über den Alpenhauptkamm nach Iuvavum/Salzburg (und weiter nach Böhmen) machten eine Neubewertung der archäologischen Situation im östlichen Zentralalpenraum erforderlich. In deren Zuge fand Gerhard WINKLER heraus, dass die Entfernungsangaben auf den Meilensteinen und im Itinerarium Antonini für eine Identifizierung von Aguntum mit Lienz-Patriasdorf sprechen.
Zum gleichen Ergebnis gelangte Ortolf HARL durch Analyse der Steindenkmäler, der archäologische Befunde am Debantbach und der antiken Schriftquellen. Es gibt also gute Argumente dafür, dass Mommsens Urteil heute erst recht zutrifft: Aguntum, der Vorort des claudischen Munizipiums ist bei Lienz-Patriasdorf zu suchen. Er war ein Drehkreuz inneralpiner Verkehrsrouten, lag als Brückenkopfsiedlung an der Isel, wurde geschützt durch die von Velleius Paterculus beschriebene Höhenfestung Aguntus (heute Schloss Bruck) und verblieb durch einen Schiedsspruch Karl des Großen in der Zuständigkeit der Patriarchen von Aquileia (Patriasdorf = Dorf der Patriarchen). Die durch ein Jahrhundert und mit großem Aufwand freigelegte Römersiedlung bei Dölsach war hingegen jener Vicus, in dem die Route über die Zentralalpen das Drautal verließ, um das Hochtor anzusteuern.
16 Steindenkmäler